“Am Klavier mit Fanny Hensel”

(Begrüssung für die erste Aufführung unseres Theaterstücks. Herzliche Einladung! 18. März 2024, 19 Uhr, Aula des Korbinian-Aigner-Gymnasiums Erding)

Fanny: eine Frau, die viel vorhat!

Als ich anfing, mich für dieses Projekt mit Fanny Hensel zu beschäftigen, stellte ich fest, dass sie am gleichen Tag wie meine Oma Geburtstag hat: am 14. November. Das wollte ich feiern! Deshalb beschloss ich, das Theaterstück an Fannys 33. Geburtstag spielen zu lassen. Das Jahr 1838 wählte ich, weil Fanny damals eine sehr glückliche Zeit in ihrem Leben erreicht hatte: sie war mit dem Mann, in den sie sich mit 17 Jahren verliebt hatte, verheiratet. Er unterstützte ihr Komponieren voll und ganz und war ihr auch sonst ein verlässlicher Gefährte. Beide liebten Italien und sollten kurz danach ein ganzes Jahr in Rom leben, zusammen mit ihrem einzigen Sohn Sebastian, der zum 10. Geburtstag mit ihnen auf den Vesuv steigen durfte. Das junge Ehepaar wohnte in Berlin im sogenannten Gartenhaus im Palais von Fannys Eltern. „Gartenhaus“ klingt bescheidener, als es war: die geräumige Dependance des elterlichen Anwesens bot genug Platz für Wohnräume, Wilhelms Atelier und Fannys Musikzimmer und blickte zudem in den parkähnlichen grossen Garten. 1838 waren sowohl Fanny als auch ihr Mann künstlerisch erfolgreich und mit verschiedenen wichtigen Projekten beschäftigt. Wilhelms Portraits waren begehrt – der preussische König und die englische Königin Victoria zählten zu seinen Auftraggebern. Fanny hatte 1831 die „Sonntagsmusiken“ im Gartensaal der Eltern wieder eingeführt. Der Saal bot Platz für bis zu 300 Zuhörer, und Fannys Konzerte zogen Kenner und Liebhaber von nah und fern an. Clara und Robert Schumann sassen ebenso im Publikum wie Franz Liszt oder eine Reihe von königlichen Hoheiten. Dieser halbprivate, nicht kommerzielle Rahmen war für eine Frau von Fannys Stand die einzige Möglichkeit, als Musikerin und Dirigentin aufzutreten. Sie haderte nicht mit ihrem Schicksal, sondern machte buchstäblich das Beste daraus, indem sie zum Beispiel Felix‘ monumentales Oratorium „Paulus“ hier aufführte und selbst dirigierte.

Wenn man Francoise Tillards hervorragende Biographie von Fanny liest, bekommt man den Eindruck, dass sie zu jeder Lebensphase eine vielbeschäftigte Frau war. In der Familie Mendelssohn war es üblich, zu Geburtstagen und anderen Familienfesten selbst etwas zu dichten und den Text auch zu vertonen. Allein diese Überraschungen nahmen einige Zeit in Anspruch. Neben dem Musizieren und Dirigieren war Fanny ihr ganzes kurzes Leben lang als Komponistin aktiv und äusserst produktiv. Ausserdem schrieben sich die Menschen damals viele und lange Briefe, aus denen wir auch heute noch viel über ihr Leben erfahren. Fanny hatte ständig zu tun – und genau so wollte ich sie heute auch darstellen, als eine vielseitige, an allem interessierte Frau, aus der die kreativen Ideen ständig heraussprudeln.

Obwohl Fanny Hensel heute im Mittelpunkt des heutigen Abends steht, werden wir leider nur zwei Stücke von ihr hören. Das liegt ganz einfach daran, dass es kaum wirklich leichte Klavierkompositionen von ihr gibt. Fanny war eine exzellente Pianistin, die auch selbst in Konzerten auftrat. Die meisten ihrer Klavierwerke liegen ausserhalb der Reichweite von angehenden Pianistinnen. Die zarte, melancholische „Mélodie“ cis-moll, die unseren Abend eröffnen wird, ist in unserer Literaturliste für die 12. Klasse vorgesehen (auch wenn sie von Sophie aus der 9. Klasse gespielt werden wird), das erste der „Vier römischen Klavierstücke“, das Paula spielen wird, sogar erst in der 13. Klasse. Für die Jüngeren war einfach nichts von Fanny dabei, deshalb habe ich das Spektrum erweitert: Fannys Zeitgenossin und Freundin Clara Schumann wird zu Besuch kommen und eines ihrer Stücke spielen. Hier muss ich gestehen, dass ich diesen Besuch für unser Stück erfunden habe. Die beiden Frauen kannten und schätzten sich, begegneten sich im echten Leben aber erst 1847, wenige Monate vor Fannys Tod. Später lasse ich Fanny praktischerweise von einem visionären Traum erzählen, in dem ihr komponierende Frauen begegnen, die nach ihr leben werden. Auf diese Art können wir Ihnen einen umfassenden Überblick über weibliches Komponieren von ungefähr 1820 bis 2020 präsentieren. Auch wenn wir nicht viele Stücke von Fanny Hensel dabeihaben, werden Sie heute ausschliesslich Musik von Frauen hören.

Dabei freut es mich besonders, dass wir auch eine lebende Komponistin dabeihaben, die ihr Stück selbst aufführen wird: Panna, die in die Rolle der Clara Schumann schlüpfen wird, schreibt selbst wunderschöne Klavierstücke. Panna ist zweihundertzwei Jahre nach Fanny geboren. Als ich sie fragte, ob sie jemals darüber nachdenkt, ob sie als Mädchen komponieren kann oder darf, konnte ich feststellen, dass das überhaupt kein Thema für sie ist. Das macht mich natürlich glücklich. Wir sind weit gekommen, dürfen aber trotzdem nicht aufhören, uns für die Anerkennung und Gleichbehandlung von Frauen einzusetzen.

Doch jetzt begeben wir uns in Fannys Welt. Hier wird sie auch gleich an der Wand auftauchen, in einem Portrait, das ihr Mann von ihr angefertigt hat. Er hat sie oft idealisierend gezeichnet, mit Anklängen an die Antike, und sie schreibt einmal, dass sie sich wünscht, er würde sie „ohne Gemüse auf dem Kopf“ malen, aber hier sehen wir sie mit einem dekorativen Kranz aus Trauben.

Ich stelle mir vor, dass der 14. November 1838 ein grauer, nebliger Tag war in Berlin. Die idyllische Gartenwelt des elterlichen Palais wird von zarten Nebelschwaden eingehüllt, die kahlen Bäume sind nur schemenhaft zu erkennen. Innen, im Gartenhaus, herrschen Leben und Betriebsamkeit. Kerzen brennen und der Geburtstagskuchen duftet. Ein ständiger Strom von Gratulanten wird Fanny an diesem Tag besuchen, ob sie will oder nicht…

Meine Erdinger Klavierschüler. Grund grosser Freude und etlicher grauer Haare…

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