Fernsehvergnügen

Seit über 20 Jahren haben wir keinen an eine Antenne angeschlossenen Fernseher mehr und vermissen nichts. Wir schauen durchaus Filme, und sehr gerne, aber immer nur selbst ausgesuchte und gekaufte DVDs. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es ist, ein Filmprogramm anzusehen, das jemand anders für einen ausgewählt hat.

Obwohl ich zufrieden bin mit Art und Umfang unseres Konsums, haben wir in den letzten zwei Wochen das Selbstexperiment eines Netflix – Abos unternommen. Hauptsächlich, weil ich “Maestro”, eine neuen Spielfilm über Leonard Bernstein, sehen wollte, der wohl wie andere Netflix – Produktionen nie auf DVD erscheinen wird. Und dann hört man immer, dass man so wunderbar Zeit verplempern und entspannen kann mit gestreamten Serien. Nach den Anstrengungen der letzten Wochen wollte ich mir was Gutes tun und einfach mal hemmungslos in den Ferien alles anschauen, was ich in den letzten Jahren verpasst habe.

“Maestro” habe ich trotz der Länge zwei Mal angeschaut, weil Bradley Cooper Bernstein erstaunlich ähnlich sieht, selbst beim Dirigieren, und ich es sehr bedaure, den sagenhaften Dirigenten nie live erlebt zu haben. Allerdings war mir zu wenig Mahler im Film, weshalb ich einen guten Teil der Ferien damit verbracht habe, auf dem Sofa liegend Bernsteins Aufnahme der 6. und 7. Symphonien zu hören. Während das bezahlte Abo ungenutzt weiterlief, was die sparsame Schwäbin in mir leicht nervös werden liess. Also genug mit Uralt – CDs! Runter vom Sofa! Rauf aufs andere Sofa und endlich mal das hochgelobte “Emily in Paris” angeschaut! Zugegeben, es ist ein hübscher kleiner Ausflug nach Paris. Man sieht die Brücken und nachts beleuchteten Strassenzüge aus ungewohnten Perspektiven aus der Höhe, und mir gefällt es wirklich, wie alle immer zu Fuss unterwegs sind über Kopfsteinpflaster und ich spähen konnte, ob mir der Strassenname was sagt. Aber die Handlung? Der Lebensinhalt (Emily arbeitet in einer Agentur, die Luxusmarken vertritt…)? Die Dialoge? Ich war nach viel zu wenig Folgen wieder draussen.

Jetzt tyrannisierte ich den Gatten. Keine eigenen DVDs mehr für die nächsten drei Wochen, meine dreizehn Euro müssten sich schliesslich amortisieren! Wir schauten mit viel Freude einen Spielfilm über Enrico Piaggio, den Vater der Vespa, auf italienisch an. Tolle Schauspieler, wunderbare Umgebung, Italien mit den Augen von Italienern gesehen und eine erstaunlich packende Handlung, obwohl es ja hauptsächlich um den Aufbruchsgeist der Nachkriegsjahre geht. Aber heroische Themen greifen doch immer. Die Neuverfilmung von “Rebecca” fand ich auch sehr fesselnd, vor allem, weil die zweite Mrs de Winter so stark und aktiv dargestellt wurde. Und Kristin Scott Thomas ist die gruseligste Mrs Danvers, die man sich nur vorstellen kann. Der beste Spielfilm war jedoch der über Richterin Ruth Bader-Ginsburg, “Die Berufung”. Sowohl der Gatte als auch ich klebten am Bildschirm, was wir gar nicht erwartet hatten bei der Thematik und den erwartet vielen Fallzitaten und Hinweisen auf Verfassung und Gesetzgebung. Felicity Jones liess die Ikone des Frauenrechts auf eindringliche Weise lebendig werden. Man konnte einfach nicht wegschauen, selbst, wenn sie nur Akten und Notizen wälzte. Doch nach diesem vielversprechenden Beginn ging es abwärts. Wir versuchten zwei unbefriedigende Italienfilme, einer zu klischeehaft, der andere mit einem so unbeteiligten Blickwinkel, dass er auch in Timbuktu hätte spielen können. Ich suchte nach Filmen mit Tom Hanks oder Diane Keaton. Man könnte annehmen, dass diese seit Jahrzehnten unermüdlich beschäftigten Schauspieler mit einer gewissen Auswahl vertreten wäre, aber es gibt aktuell von jedem genau einen Film im Streamingangebot. Den mit Diane Keaton probierte ich, weil ich sie liebe, aber er war leider unerträglich: zaunrackendürre Frauen, die ständig Tobsuchtsanfälle bekommen, krampfhaft ausgeführte amerikanische “Traditionen”, denen viel zu viel Bedeutung zugemessen wird wie das Brautstrausswerfen, noch mehr Klischees als im Toskanafilm. Ich hielt 40 Minuten aus. Obwohl ich dafür bezahlt hatte!

Immerhin fand der Gatte eine bluttriefende amerikanische Krimiserie, die ihm eine seltsame Art von Freude bereitet. Ich kann so was nicht anschauen. Meistens haben wir irgendeinen vorgeschlagenen Film ausprobiert, aufgegeben und dann hat er diese Serie angeschaut und ich bin mit einem Buch ins Bett. Am ersten Tag dachte ich noch: toll, jetzt hab ich das Abo und liege lesend im Bett wie immer. Wo bleibt das suchterzeugende Element, vor dem ich gewarnt wurde?!

Es stellte sich heraus: die Sucht, das sind die Bücher. Das, wohin man immer zurückkehrt, sich wohl fühlt, sich wirklich entspannen kann am Abend, ist für mich und uns nicht die Flimmerkiste. An einem regnerischen Ferientag waren wir zusammen in München und haben lange in der ausgefallenen Buchhandlung “Literatur Moths” am Isartor gestöbert. Ich kaufte “Allein” von Daniel Schreiber, der Gatte “Hitler, Stalin, meine Eltern und ich” von Daniel Finkelstein. Wieder zuhause, begannen wir mit unseren abendlichen Bechern Tee gleich zu lesen, ich wie immer auf dem Sofa, der Gatte am Esstisch. Eine Kerze brannte, es regnete immer noch und ich fühlte mich wohl und geborgen. Bis mir auf einmal einfiel: das Streaming – Abo!! Die Kohle rieselt nur so durch, und keiner nutzt es! Mir tat es kein bisschen weh, dass der Gatte und ich grade siebzig Euro für gebundene Bücher ausgegeben hatten. Die dreizehn, die ich einem Giganten in den Rachen geworfen habe, bereue ich. Aber plötzlich war ich entspannt. Warum sich das antun, wenn man kaum Genuss und Freude dabei hat? Das Leben ist zu kurz, um Filme zu streamen, die man eigentlich gar nicht sehen will. Wir sind ein bisschen wie Robert Seethalers Held Egger aus “Ein ganzes Leben”: “Zum Beispiel konnte er kaum das Beharrungsvermögen aufbringen, mit dem die meisten anderen Menschen stundenlang in das Flimmern hineinstarrten, von dem er insgeheim annahm, es könne einem auf Dauer das Augenlicht trüben und das Hirn aufweichen.” (S. 123)

Dabei wäre ich doch so gern begeistert von den Erscheinungen der Gegenwart! Ich finde es eigentlich schade, wenn ich immer wieder auf das zurückgeworfen werde, was schon Jahrhunderte lang funktioniert hat. Ich wäre so gern aufgeschlossen und modern und überzeugter Unterstützer aller möglichen digitalen Errungenschaften! Dann müsste ich auch nicht solche Artikel schreiben, die mich einmal mehr in die Dinosaurierecke stellen! Ich habe festgestellt, dass es Leute gibt, die drei oder vier Streamingabos haben. Und die auch nutzen. Wie macht man das nur?

Im Moment schimmelt das bereits gekündigte Abo unbeschäftigt vor sich hin. Noch zwei Wochen hätten wir die Möglichkeit, uns von den Vorteilen überzeugen zu lassen. Hat jemand vielleicht Vorschläge?

Atemberaubende Hortensien: aus dem Garten meiner Freundin Barbara