Ein Stückchen Neapel in Freising

Vor Jahren waren der Gatte und ich im Juni in Neapel. Es ist so heiss, wie man es sich vorstellt. Wir verschmachteten fast, wollten aber trotzdem so viel wie möglich von der Stadt an der azurblauen Bucht sehen und schleppten uns, immer auf der Schattenseite, durch die Strassen. Als wir das erste Mal in einer dämmrigen Kirche einer aufgestellten Krippe begegneten, dachte ich, jetzt habe ich endgültig einen Hitzschlag. Doch auch ohne Sonnenbrille und mit adaptierten Pupillen blieb es – eine Krippe, komplett mit allem, was man sich wünschen kann. Engel, Hirten, Kindlein und Komet. Sorgfältig und liebevoll inszeniert, wie wir es nur von Weihnachten kennen. In der italienischen Hitze, im Sommerkleid, und mit der Aussicht darauf, zurück in Sperlonga noch mal ins Meer zu springen, wirkte die friedliche Geburtsszene völlig fehl am Platz. Und gehört doch so eng zu Neapel wie der Kegel des Vesuvs oder die Mosaiken von Pompei, wie wir erfuhren. Denn es sollte nicht die einzige Krippe sein, der wir auf unserem Rundgang begegneten. Aufwändige, viel bevölkerte Weihnachtskrippen haben eine lange Tradition in Neapel, die bis ins 15. Jahrhundert zurückgeht. Charakteristisch ist, dass ganze Szenen des neapolitanischen Strassenlebens dargestellt werden, mit allem Alltäglichen, was dazugehört. Da es in der Umgebung Neapels viele Tuffsteinhöhlen gibt, entstand hier auch der Typus der Höhlenkrippe. (Endlich weiss ich, wie man unsere Familienkrippe richtig bezeichnet!)

Je länger wir durch die flirrende Hitze schlichen und zwischen Caffè freddo und Gelateria pflichtschuldig noch ein paar Kirchen einschoben, desto mehr wurde unsere Reaktion auf die nächste Krippe: “Nein! Nicht noch eine!” Es passt einfach wenig zum Sommerurlaub im Süden.

Hier hingegen, in unseren nördlichen, kurzen Wintertagen, haben wir uns extra ins Auto gesetzt, um noch eine Krippe zu sehen. Und noch eine, und noch eine… Die bekannte Krippenausstellung im Freisinger Diözesanmuseum hat nach der langen Renovierung endlich wieder geöffnet. Dank meiner ehemaligen Gambenlehrerin, die mit dem Ensemble um Christoph Eglhuber die Feier musikalisch umrahmte, kamen wir auf die Liste der geladenen Gäste und pilgerten am ersten Schneetag hier, bei eisigem Wind und treibenden Flocken, hinauf auf den Domberg. Das Wetter hätte nicht besser sein können für unser Vorhaben. Viel besser als in Neapel, auf jeden Fall! Nach den Eröffnungsreden durften wir uns zu Glühwein und Lebkuchen auf die Terrasse begeben (der Museumsdirektor ermahnte uns: “Dass ihr mir ja net reinkommts mit dem Glühwein, die Flecken krieg ma nie mehr aus dem weissen Marmor!”). Der Schnee rieselte im Licht der Scheinwerfer, der Glühwein war heiss und lecker, und es war einfach nur wie im Hollywoodfilm. Krippenausstellung. Und erster Schnee. Und erster Glühwein. Jetzt passte alles.

Und wir waren noch ganz erfüllt von der feierlichen Eröffnung im hohen Lichthof des Museums. Das Schönste war natürlich die sagenhafte Musik, echtes neapolitanisches Barock von Cristoforo Caresana, das Christoph Eglhuber wiederentdeckt und transkribiert hat. Bei einigen Stücken meinte er, dass sie möglicherweise seit ihrer Erstaufführung in Bibliotheken geschlummert haben. Wir hörten drei etwa 20-minütige Weihnachtsoratorien, gespielt von seinem erlesenen Ensemble auf Barockinstrumenten und sechs wunderbaren Gesangssolisten. Ich hatte noch nie vorher von Caresana gehört. Für mich klang es wie Monteverdi, vor allem, wenn die Truhenorgel und die Theorbe den tiefen Bass als Gott der Unterwelt begleiteten. Diese neapolitanische Weihnachtsmusik entspricht überhaupt nicht unseren Erwartungen, da sie hauptsächlich Tanzmusik ist. Wir hörten mehr als eine schmissige, fetzige Tarantella, und alles so leicht und spielfreudig musiziert, dass es schwer fiel, ruhig sitzen zu bleiben. Das war eine wirkliche Entdeckung für mich, und ich hoffe, dass ich diese Stücke und dieses Ensemble irgendwann wieder hören darf.

Der gesprochene Teil der Eröffnung war wider Erwarten kurzweilig und unterhaltsam. Nach dem agilen und umtriebigen Museumsleiter, Christoph Kürzeder, erzählte Kardinal Marx von seinen vier Krippen daheim und erläuterte dabei die verschiedenen Formen, die es gibt: die schon erwähnte Höhlenkrippe, den Stall, der vor allem im alpenländischen Raum beliebt ist, den (verfallende) Palast und die Krippe mitten in einer orientalischen Stadt. Als wichtigste Botschaft der Krippe hob er die Mutter mit dem Kind hervor: das Symbol des Friedens schlechthin, nach dem wir uns nicht nur jetzt besonders sehnen. Auch Innenminister Herrmann hielt sich kurz: für ihn war die Familienkrippe die einzige Gelegenheit, kirchlichen Symbolen nahezukommen und mit ihnen auch spielen zu dürfen. Schon früh kümmerte er sich um die Elektrifizierung der Krippe. Wenn er nicht damit beschäftigt war, die vom Familienhund neu arrangierte Schafherde wieder aufzustellen. Für ihn ist die Botschaft der Krippe “Nächstenliebe”. Für beide Redner war der Applaus gross, wahrscheinlich vor allem deshalb, weil sich alle auf unter fünf Minuten beschränkten und uns so Gelegenheit gaben, das gigantische nagelneue Museum zu erkunden. Etwas Klatsch am Rande darf sein: an diesem Abend erfuhr ich auch, dass das Erzbistum München-Freising die reichste Diözese Deutschlands ist und an zweiter Stelle nach dem Vatikan kommt, was den Besitz an Kunstgegenständen betrifft. Wer hätte das gedacht?

Allen, die das neue Diözesanmuseum noch nicht kennen, kann ich es nur wärmstens ans Herz legen. Ich denke, es ist das schickste und eleganteste Museum, das es gerade in Bayern gibt. Hoch auf dem Domberg, mit einer tollen Aussicht, fühlt man sich wirklich in anderen Sphären, bevor man überhaupt in Berührung mit den Kunstwerken gekommen ist. Allein der Eingangsbereich: die oft vernachlässigte Notwendigkeit von banalen Schliessfächern wurde hier ins Rampenlicht gestellt. Die Fächer sind in etwa bauchhohen hellen Holzschränken mit meterlangen Auflageflächen untergebracht, die ebenfalls meterhohe extravagante Gebinde von roten Amaryllis zierten. Allein wegen des weihnachtlichen Blumenschmucks sollte man bald wieder nach Freising pilgern, und für die Krippenausstellung, die noch bis Lichtmess zu sehen ist, ist keine Anfahrt zu weit.