Elitär – und auch noch privilegiert

tumblr_ow0nl1rSjO1rs8b72o1_500Seit ich den letzten Artikel geschrieben habe, denke ich täglich darüber nach, wie und ob es elitär ist, sich mit Kunst, Musik oder Literatur zu beschäftigen. Es lässt mich nicht los und ich habe das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen. Gleichzeitig weiss ich, dass es überflüssig ist. Denn die, die die Erfahrung gemacht haben, wie lebensnotwendig und lebensspendend die unmittelbare Begegnung mit Kunst ist, muss ich nicht überzeugen. Und die anderen haben wahrscheinlich so tiefsitzende Vorurteile und womöglich auch keinen Elan, sich eingehender damit zu beschäftigen, dass ich sie ohnehin nicht umstimmen könnte.

Möglicherweise spielte in dem berüchtigten Interview auch die Tatsache eine Rolle, dass das Konzert im Rahmen der Opernfestspiele stattfand und natürlich alle Arten von Gerüchten zirkulieren über Schwarzmarktpreise und (zugegeben) hohe Premierenpreise. Und man kann, auch als ganz positiv eingestellter, kunstliebender Mensch, die Krise kriegen, wenn man an einem sommerlichen Premierenabend in München die Reichen und Schönen vor der Oper flanieren sieht. Da kann man sich schon fragen, um was es eigentlich geht, wer eigentlich die Hauptpersonen des Abends sind. Aber das ist nur eine Seite der Medaille, und nur eine ganz oberflächliche und unwichtige. Die Begegnung mit Kunst kann auch in völlig alltäglicher Umgebung stattfinden und ist dann oft umso essentieller und lebendiger. Ich höre beim Backen meistens Mozart-Opern, und die “Zurück”-Taste des CD-Spielers ist regelmässig mehl- oder hefeteigverklebt, weil ich (zum 800. Mal im Leben) noch mal diese eine Arie aus “Cosi” hören muss. Oder meine Schüler: die stürzen mit klebrigen oder erdverschmierten oder sonstwie sichtlich dreckigen Pfötchen an meinen Flügel und legen los, während ich japse: “Erst Hände waschen”! und sie “Gleich, ich spiel’s dir nur kurz vor, es hat so Spass gemacht!” Aber vielleicht sind wir wirklich privilegiert, in unserem ganz banalen und unperfektem und ungestylten Alltagszustand, weil wir für etwas brennen, das ewig und immer schön ist?

Und das “privilegiert” bringt mich in positivere Fahrwasser und erinnert mich an eine meiner Lieblingsstellen aus Tartt’s “Goldfinch”: “It’s a privilege to love what Death doesn’t touch.” (Ich zitiere elitär auf englisch, weil sich das grossgeschriebene “Tod” nicht wirklich übersetzen lässt – dabei ist das Detail so wichtig). “Privilegiert” klingt etwas weniger verurteilend als “elitär”, oder? Ein kleines bisschen?! Tartt, oder ihrem Held Theo, der mit diesem Satz auf sein desaströses kurzes Leben zurückblickt, geht es um die Essenz der Dinge, um Schönheit um der Schönheit willen, und um das Bewusstsein, dass Kunstwerke das einzige sind, was bleiben kann von uns, wenn wir diese Welt verlassen. Und dass sie ewig sind und nicht nur uns berühren, sondern Generationen vor uns und hoffentlich viele nach uns. Und dass sie eine Verbindung, vielleicht die letzte und einzig greifbare, zu einem geliebten Menschen darstellen können, der uns verlassen hat. Theo denkt an seine tote Mutter und den älteren Antiquitätenhändler, den er kurz vor seinem Tod kennenlernen durfte, wenn er Fabritius’ “Distelfink” sieht. Ich denke unweigerlich und immer an meinen Vater, wenn ich die grosse Treppe in der Alten Pinakothek raufgehe. Es lässt sich nicht vermeiden, Menschen zu lieben, die genau so sterblich sind wie wir, obwohl wir wissen, dass uns irgendwann das Herz brechen wird, weil der Tod jemand berührt. Aber es gibt darüber hinaus eben noch die Möglichkeit, unsterbliche, ewig junge Begleiter im Leben zu haben, wenn man sie denn sehen, verstehen, begreifen kann. Das ist fast so mysteriös wie die Liebe selbst. Und es gibt einem eine wunderbare, leise Hoffnung, dass irgendwie doch alles gut ist, auch wenn die Welt manchmal gar nicht danach aussieht. Manchmal fühlt man sich isoliert und einsam mit seinen Ansichten und Vorlieben, aber dann gibt es Momente, in denen man schlagartig sieht: man ist doch verbunden mit einer ganzen jahrhundertelangen Kette von Menschen, die das Gleiche geliebt haben. Man ist Teil von einem wunderbaren Ausschnitt der Menschheitsgeschichte, egal ob man aktiv als Künstler tätig ist oder “nur” privilegiert genug, Kunst zu geniessen. So lange das einem so viel gibt und das Leben so viel lebenswerter macht, ist es eigentlich egal, wie andere darüber denken.

Foto: theoosterbook.tumblr.com

One thought on “Elitär – und auch noch privilegiert

  1. ach – elitär. Es macht einfach ganz viel Freude – etwas zu schaffen, das ist zwar in erster Linie egoistisch, aber wahrscheinlich sind freudige Menschen doch angenehmer für ihre Mitmenschen und machen dadurch die Welt ein ganz klein wenig angenehmer. Das wär schon was.

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